Wer kahn, der kahn! (Feuilleton-Kolumne „Pro und Contra“)

Veröffentlicht am 18. Mai 2008



Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Pro. Als ich vor drei Jahren in Mönchengladbach auf dem Empfang zu Theo Zwanzigers sechzigstem Geburtstag aus Versehen Marcus Höfl, Beckenbauers rechter Hand, ein Glas Wasser über die dunkelblaue DFB-Anzughose schüttete, reichte uns Oliver Kahn, der alle, die an dieser Stelle vielleicht einwenden möchten, dass Hände keine Hosen tragen und Füße keine Handschuhe, in Tausenden Torwartparaden widerlegt hat, eine Serviette zum Trocknen.

Der Mann ist im wirklichen Leben genauso aufmerksam wie auf dem Platz und dennoch bescheiden geblieben: „Ich fühle mich in der Rolle des Helden nur bedingt wohl“, gesteht er in seiner Autobiographie: „Ich habe diesen Wahnsinn selbst erlebt. Für Götter gibt es keine Gesetze, sie stehen über allem. Können aber auch unheimlich tief fallen.“ Das ist natürlich wahr: Jede Torwartparade endet am Boden!

Sein Talent, fußballerische Erfahrungen zur Lebensphilosophie hochzurechnen, prädestiniert Oliver Kahn für seine neue Rolle als Kerners Ko-Moderator bei den Spielen der Nationalmannschaft: Schnell zwischen den Pfosten, langsam zwischen den Zeilen – ein Titan im Tor, ein Mensch im privaten Gespräch. Da ringt er dann nach den richtigen Worten, und mit jedem „Ähm!“ tritt seine nachdenkliche Seite deutlicher zutage. Einst biss er Heiko Herrlich auf dem Spielfeld in den Hals und wurde getadelt; als EM-Kommentator darf er seinem Mundwerk freien Lauf lassen.

Und, wer weiß, wenn er nur mit seinem Unterkiefer drohen muss, um Johannes B. Kerner verstummen zu lassen: Dann könnte er sich damit noch mehr Freunde machen als in allen 557 Bundesligaeinsätzen zusammen.

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Kerstin Susanne König
Berlin
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