Der Pony-Express
Veröffentlicht am 4. Dezember 2007
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zuerst haben Irina, Kate und Naomi ihrer Frisur eine klare Form gegeben. Nun gibt der neue Schnitt auch bei uns die Linie vor: Der Pony ist wieder da.
Kleider machen Leute – aber die Frisur ist die eigentliche Nagelprobe der Mode. Topmodel und „Topshop“-Designerin Kate Moss hat diese Prüfung gerade mal wieder erfolgreich bestanden. Sie trägt seit kurzem eine neue Top-Frisur: den „Bang-Pony“. Neuer Freund, neue Frisur, wobei sie den „Kills“-Frontman Jamie Hince inzwischen schon wieder verlassen hat. Das behauptet jedenfalls die Klatschpresse, während ihre eigene Sicht der Dinge wahrscheinlich eher unklar ist – bei diesen langen Stirnfransen…
Kate Moss, ansonsten Inbegriff der Trendsetterin, ist diesmal nicht die Erste. Schon vor ihr hat ihre Freundin und Model-Kollegin Irina Lazareanu den Bang-Pony populär gemacht: Im Januar 2006 erschien sie mit ihm auf dem Cover der italienischen „Vogue“. Frech lugte sie unter ihrem langen Pony-Haar hervor, hinter dem ihre großen Augen ein wenig zu verschwinden schienen. Die Modewelt war begeistert, ernannte sie zum „Mädchen des Augenblicks“ und ihre Frisur zu einem der prägendsten Stilelemente der Saison. Sie sei „eine Mischung aus Coco Chanel und Anna de Noailles“, sagte Karl Lagerfeld und buchte die heute Fünfundzwanzigjährige gleich für die Cruise-Kollektion von Chanel. Nicolas Ghesquière machte sie zu seiner Muse und engagierte sie für Balenciaga. Bald war sie überall zu sehen.
Und der Pony? Verlor sein Image als „brave-Mädchen-Frisur“ und wurde zum Zeichen einer neuen Lässigkeit, die Irina Lazareanu, Model, Schlagzeugerin und Songtexterin, wie keine andere zu verkörpern scheint: Röhrenjeans, Turnschuhe, Weste, Hut, Zigarette im Mundwinkel, die Gitarre stets dabei. So lässig war seit Patti Smith in den Siebzigern oder Uschi Obermaier in den Sechzigern kaum eine Pony-Trägerin mehr dahergekommen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis ihr Haarstil von älteren Models – Naomi Campbell, Helena Christensen, Nadja Auermann – übernommen wurde. Kate Moss‘ blondgelockter Haarstylist James Brown gerät mit Blick auf sein jüngstes Werk ins Schwärmen: „Ich liebe den Pony. Es ist so ein junger, frischer Look, aber dennoch sexy!“
Mit einem Jahr Verspätung setzt sich der Bang-Pony, abgeleitet vom englischen „bang tail“ („abgeschnittener Pferdeschwanz“), nun auch außerhalb des engsten Modezirkels durch, als wäre er ein Kleidungsstück, das Marc Jacobs in der vorletzten Saison kreiert hat und nun in ähnlicher Schnittform bei H&M oder Zara zu kaufen ist. Aus Berlin-Mitte ist der Pony schon gar nicht mehr wegzudenken. Auch wenn man die Hamburger „Pony-Bar“ betritt, sind Mädchen mit namensgerechter Frisur immer schon da. In München spielen sie längst in der „Ersten Liga“: Wer in diesem Club ein Bier zu viel trinkt, kann sich leicht vorkommen wie bei einem Casting für Irina-Doubles. Wenn dann eine dieser jungen Frauen mit Pete Doherty gesehen wird und eine andere mit Jude Law im „Borchardt“ in Berlin speist, sind die entsprechenden Fotos der Yellow Press für den Friseur Gold wert: „Der Bang-Pony ist auf dem besten Weg, die Frisur des Jahres zu werden“, sagt der Berliner Friseur Shan Rahimkhan, der ihn bereits Franziska von Almsick und Milla Jovovich geschnitten hat. „Alle wollen ihn, obwohl er gar nicht allen steht.“
Bei flächigem Gesicht, platinblondem oder pechschwarzem Haar sollte man die Finger vom Bang-Pony lassen. Nach Meinung von Rafael Sommerlatte vom „Bund Deutscher Haarformer“ ist er eigentlich nur etwas für Frauen mit schmalen Gesichtern – „und für mittlere Haarfarben, von Goldblond bis Nussbraun“. Doch es gibt für jeden Kopf eine geeignete Variante. Wer wüsste das besser als der Lieblingsfriseur der Münchner Society, Gerhard Meir, der seine Kundschaft nach eigenem Urteil immer so berät, dass „Frisur und Mensch am Ende eine Einheit bilden.“ Für seinen Berliner Kollegen Udo Walz bedeutet das mit Blick auf den Pony: „Zur niedrigen Stirn gehört ein fransiger Pony, zur hohen Stirn ein kompakter.“ Wenn eine Kundin ein eher rundes Gesicht hat, hält er den Pony lieber etwas kürzer, um es optisch zu strecken. Zum länglichen Gesicht empfiehlt er dagegen eine seitlich gescheitelte Variante. Sie betont die Horizontale und lässt den Kopf etwas kürzer erscheinen.
Doch viel lieber als über ihr Handwerk sprechen Friseure über diejenigen, die sie damit verschönern. Beim Stichwort „Pony“ sind Gerhard Meir und Udo Walz sofort bei Audrey Hepburn und Twiggy: große Kinderaugen, kurzer neckischer oder streng zur Seite gekämmter Pony. Oder auch bei Brigitte Bardot mit ihrer blonden Mähne, aus der einzelne Strähnen verführerisch herausfallen. Auf der anderen Seite stehen die Frauen mit mysteriöser Aura. Zu dieser Gruppe zählen – intellektuell, unnahbar – die Chanson-Sängerin Juliette Gréco und Andy Warhols Muse Niko. Zu ihnen passte der lange Bang-Pony als Schutzschild für Stirn und Gedanken.
Solche Assoziationen schwingen mit, wenn Friseure zur Tat schreiten. Udo Walz schneidet am Tag rund zehnmal eine Pony-Frisur. Die schlaff herunterhängenden Bang-Ponys sind ihm dabei weniger lieb als voluminöse Varianten. Einer seiner Favoriten ist der in der Mitte gescheitelte und dann schwungvoll nach außen geföhnte Pony nach dem Vorbild von Sarah Fawcett in „Drei Engel für Charlie“. Ähnlich zurechtgemacht schrieben die Protagonistinnen der Serien „Dallas“ und „Denver“ Frisuren-Geschichte: Sie sahen permanent so aus, als ob die Windmaschine ihnen ins Gesicht bliese. Imposante Frisuren waren das, bei jedem Schritt wippende Haartürme. Udo Walz sieht das Revival des „big hair“ unmittelbar bevorstehen: „Endlich kommt wieder Bewegung ins Spiel. Die Leute haben den Minimalismus satt, sie wollen wieder frisiert aussehen.“ Auch Shan Rahimkhan spricht von Volumen und Weiblichkeit. Jahrelang hätten zumindest die jungen Leute möglichst unfrisiert aussehen wollen, als seien sie gerade erst aufgestanden. Doch allmählich schlage die Stimmung um: Auf Grunge folge Glanz, auf den Wuschelkopf die klare Linie. Bedauerlich nur, dass diese Leit-Linie im Falle des langen Ponys die Sichtverhältnisse etwas einschränkt.