Privat gern selbstgenäht
Veröffentlicht am 9. März 2013
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Wer beruflich ständig Mode um sich herum hat, trägt off duty gerne gemütliche Sachen. Ein Ex-Model gibt Einblick in den Model-Style.
Als die französische Stylistin Carine Roitfeld vergangenes Jahr sagte, dass natürlich belassene Augenbrauen am schönsten seien, ging der modische Trend – in gewissen Kreisen – prompt in diese Richtung. Das ist insofern lustig, als Roitfeld selbst keine Freundin des Modediktats ist. Vor zwei Jahren verließ sie ihren Posten als Chefredakteurin der französischen „Vogue“ angeblich deshalb, weil sie keine Lust mehr hatte, im Heft auch solche Kleidung zu zeigen, die ihr persönlich nicht gefiel. Auch in Interviews gibt sie sich rebellisch, gerade neulich wieder, als sie „Le Figaro“ sagte: „Alles Modische ist ein Ärgernis. Die Eleganz, das sind Gedanken.“ Ungewöhnliche Töne für eine Stylistin. Doch andererseits: In den siebziger Jahren war sie Mannequin in Paris. Und Models, wer hätte das gedacht, haben es nicht so mit Mode.
Im Gegenteil, so scheint es. Gefragt, wie eine Frau sich gut kleide, antwortet das Topmodel Luca Gadjus: „Sie muss sich wohl fühlen in ihren Sachen, sollte keine Looks vom Laufsteg kopieren und den Mut haben, auch mal schlecht gekleidet zu sein.“ Aus Sicht ihrer Kollegin Jana Flötotto sind Modetrends gar nur „ein großes Fragezeichen, von Person zu Person weitergegeben“. Und Kate Moss erst! Laut „Daily Telegraph“ findet sie: „Es kommt nicht darauf an, was du anziehst. Die Haltung zählt.“ Das könnte reine Koketterie sein. Zugleich steckt aber auch anderes dahinter: Überdruss.
Im Unterschied zu Designern, Fotografen oder anderen Kreativen entscheiden Models sich in erster Instanz nicht aus eigenem Antrieb für die Modebranche, sondern werden von Modelscouts entdeckt. Unbedarfte Schulmädchen, die dann über Nacht eintreten in die Modesphäre. Das kann ein Kulturschock sein, bis hin zum dauerhaften inneren Ausstieg. Man kennt ja die Bilder von Models in Klatschmagazinen: Gisele Bündchen in abgeschnittenen Jeans und Schlabbershirt, beim Einkaufen in einem Supermarkt. Niemand würde vermuten, dass die schöne Brasilianerin laut „Forbes“ 45 Millionen Dollar pro Jahr verdient. Oder Kate Moss, wie sie beim Glastonbury-Festival durch den Matsch watet, in ollen Gummistiefeln, die „Spiegel online“ 2005 jubeln ließen: „Fetisch für die Füße! Alle wollen sie haben.“ Die Schuhe? Oder die Frau? Was auch immer sie anzieht, wird in den Medien zum Trend erhoben. „Model-Schick“, heißt es dann: Lässig tagsüber, Jeans und Blazer. Aber elegant bis leicht verrucht am Abend, wenn „Kate“ mit einer guten Freundin wie Roitfeld loszieht, die in der „Vogue“ mal über sie schrieb: „vielleicht kein Musterkind, aber die inspirierendste aller Musen“. Die beiden kleiden sich beim Ausgehen auch ähnlich: schmale Hosen oder Lederleggings, enge Kleider, Pencilskirts, Seidenblusen, Pfennigabsätze, viel Spitze und viel Schwarz. Nur selten Muster wie Leoprints. Hier und da etwas Pelz. Teure Taschen, edler Schmuck, offenes Haar. So sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung zu „Stil-Ikonen“ aufgestiegen. Auch wegen Blogs wie „I want to be a Roitfeld“ oder „Kate Moss Daily“ von Fans, die nach jedem ihrer öffentlichen Auftritte dokumentieren, was die eine oder die andere anhatte. Das sei ihr „manchmal ein bisschen viel“, sagt Roitfeld.
1999 brachte der deutsche Fotograf Jürgen Teller das Buch „Girls knocking on my door“ heraus, eine Sammlung von Polaroids weiblicher Models, die sich an seinem Londoner Wohnsitz bei ihm vorgestellt hatten. Der New Yorker Craig Arend hat die Idee von den schönen Mädchen, die an fremde Türen klopfen, um berühmt zu werden, vor einiger Zeit ins digitale Zeitalter übersetzt. Für seinen Blog „Alta Mira“ („Hohes Ziel“) fotografiert er Models, die hoch hinaus wollen, auf dem Weg zu Castings und Jobs in New York, Mailand, Paris. Manche bleiben für ihn stehen, schenken ihm eine Pose, ein Lächeln. Andere haben es so eilig, dass er sie nur, wie die Paparazzi, im Vorbeigehen ablichten kann. Das Äußere der Mädchen, sagt er, sei von ihrem Leben in zwei unterschiedlichen Welten geprägt – also der Modewelt hier und der Heimat dort.
Das ist genau der Stil von Hanne Brüning, die seit drei Jahren modelt und nach eigenem Bekunden zur Batikjeans von Isabel Marant am liebsten einen großen Pulli von Lars trägt – das ist ihr Freund. Oder eine rote Wolljacke, selbstgenäht, aus einer Ikea-Decke von zu Hause. „Anti-Heimweh-Styling“ nennt sie das. Auf dem Blog von Craig Arend sieht man, wie stilsicher solche kleinen Stilbrüche wirken können: eine Seidenbluse zur abgewetzten Jeans, Springerstiefel zum dünnen Trägerkleid, eine Wollmütze im Sommer. Exklusive Marken und Vintage-Mode gemischt. Figurbetonte Basics einerseits. Sportliche Sneakers andererseits. Die jungen Frauen mixen scheinbar nach Lust und Laune, als wäre der Kleiderschrank ein DJ-Pult. Aber dem Mainstream entkommen können auch sie nicht. So sehr sie sich bemühen, anders auszusehen, um beim nächsten Casting aufzufallen und gebucht zu werden, und so schön sie allesamt sind: Am Ende spiegeln sie den modischen Zeitgeist hin zu lässigen und tragbaren Looks mit individuellen Akzenten. Also doch Modepüppchen, wenngleich wider Willen.
Es könnte anders sein, „aber die Agenturen mischen sich immer ein“, sagt Hanne Brüning. „In Mailand und Paris erwarten sie figurbetonte Outfits, viel Schwarz und Weiß. Die Haare offen. Kein Make-Up und keinen BH.“ Ein bisschen „rockig“ sei der Stil – à la Roitfeld eben. Anders in Amerika, wo Anna Wintour, Chefin der „Vogue“, die Modewelt regiert, verschrien, weil sie gelegentlich von Kopf bis Fuß ein einziges Markenlabel trägt. Als Hanne Brüning erstmals nach New York kam, im Juni 2010, befand ihre Agentur prompt, dass sie „teurer“ aussehen müsse, und schickte sie mit 6000 Dollar und einem Stylisten ins Nobelkaufhaus Barneys. Da wusste sie zwar noch nicht, dass das viele Geld später von ihren Gagen abgezogen werden würde, aber ihre Freude hielt sich dennoch in Grenzen: „Das meiste von dem teuren Zeug gefiel mir gar nicht.“ Also kaufte sie nur das Nötigste: eine schwarze Lederleggings von Helmut Lang, die erwähnte Batikjeans, eine gelbe Seidenbluse, Schuhe für tausend Dollar von Jimmy Choo und, in einem anderen Laden, ein Täschchen von Yves Saint Laurent, gebraucht, aber trotzdem: 1000 Dollar. Damit war sie erstmal aus dem Schneider, wurde für Modenschauen gebucht, für Hilfiger in New York, für Chanel in Paris. Bekehrt wurde sie aber nicht. Statt weiter in der Mode zu arbeiten, studiert sich jetzt Verpackungstechnik in Berlin.
Nein, keine Modefans. Models stecken wohl einfach zu tief drin im Wahnsinn immer neuer Trendansagen. Wenn sie beruflich eigene Wege gehen, entwerfen sie bequeme Öko-Sandalen (Gisele Bündchen), zeitlose Kaschmir-Pullis (Claudia Schiffer) oder preisgünstige Topshop-Kollektionen (Kate Moss). Oder sie geben, wie Anja Rubik, eine Zeitschrift („25″) heraus, in der Kleidung fast gar nicht zu sehen ist. Ihr geht es um Menschen, „um Erotik aus weiblicher Sicht“, wie sie sagt. Auch Carine Roitfeld hat mit dem „CR Fashion Book“ inzwischen ein eigenes Magazin auf den Markt gebracht. Darin menschelt es vor allem. Schwangerschaft und Geburt waren die Themen der ersten Ausgabe, im aktuellen Heft geht es um Tanz. Wo bleiben da Prêt-à-porter und Couture? Schon Coco Chanel soll mal gesagt haben: „Eleganz ist Verweigerung.“ Sonderbar: Die war doch gar kein Model !