Fotograf Vincent Peters im Interview

Veröffentlicht am 7. Januar 2017



FAZ.NET

Erstaunlich, wer sich vor Ihnen schon alles ausgezogen hat. Wie viele Moderedakteurinnen haben Ihnen schon „Sexismus“ vorgeworfen?

In meinem Beisein noch keine. Ich zwinge ja auch keine Frau dazu, sich auszuziehen. Sie muss schon zustimmen! Die Aktfotografie hilft dabei, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit auszudrücken.

 

Sie arbeiten viel mit Celebrities – Segen oder Fluch?

,Segen‘ ist ein zu großes Wort, ich würde eher von einer glücklichen Situation sprechen. Die Frage, welche Person gerade berühmt ist, sagt viel über den Zeitgeist einer Epoche aus. Im Moment werden – bedauerlicherweise – der Populismus und das Vulgäre zum Mainstream: Trump wird Präsident, und Kim Kardashians Po oder Busen sind für Millionen von Fans offenbar so interessant, dass sie ihr in den sozialen Netzwerken folgen. Ich würde sie niemals fotografieren. Bei diesem Trend mache ich nicht mit. Aber insgesamt mag ich die Herausforderung der Celebrity-Fotografie, bei der ich mich mitunter so fühle, als müsste ich aus einem fahrenden Zug heraus eine ruhige Landschaftsaufnahme machen: Alles muss sehr schnell gehen!

 

Warum findet man bei Ihnen kein einziges Foto einer deutschen Berühmtheit?

Es gibt keine, oder? Im Ernst: Ich habe dieses Land vor mehr als 20 Jahren verlassen und kenne mich mit deutschen Promis nicht aus. Ich kann mir keinen „Tatort“-Kommissar auf einem „GQ“-Cover vorstellen. Man nimmt am Ende doch lieber einen DiCaprio oder Clooney…

 

Gibt es so etwas wie ein deutsches Stilmerkmal in der Modefotografie?

Ich denke, schon. Der Deutsche sucht immer nach Ausdruck im Bild, sein Ansatz ist expressiv und psychologisch, im Unterschied etwa zum französischen, der eher kontemplativ ist. Hier reicht es aus, dass ein Bild einfach schön ist. Es ist wie im wirklichen Leben, wenn ein Deutscher und ein Franzose an einem wilden Garten vorbeigehen. Der Franzose sagt: „Wie schön!“ Und der Deutsche: „Was man aus diesem Stück Land alles machen könnte…“

 

Sie haben sicherlich kistenweise Fotos zu Hause. Nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder für Ihre Ausstellung ausgesucht?

Ich habe vor einiger Zeit angefangen, nach Shootings noch ein paar zusätzliche Aufnahmen zu machen, nur für mich und das Model. Ich kann dann einfach freier arbeiten, als wenn dreißig Leute um mich herum stehen, die alle mitreden wollen. Die meisten Fotos der Ausstellung sind auf diese Weise entstanden.

 

Fühlen Sie sich bei Modeaufnahmen oft eingeengt?

Natürlich muss ich mich nach den Wünschen der Kunden richten. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Früher konnte ich ziemlich rebellisch werden, wenn jemand meine Vorstellungen in Frage stellte. Wolfgang Joop hat das mal zu spüren bekommen. Wir hatten uns vorgenommen, Nadja Auermann als sportliche Amazone zu inszenieren. Am Set fühlte er sich dann aber plötzlich an Leni Riefenstahls Dokumentation der Olympiade von 1936 erinnert und verlangte von mir, das Topmodel – ohne das sportive Element – einfach vor einer weißen Wand zu fotografieren. Daraufhin habe ich einen ganzen Tag lang gestreikt.

 

Nadja Auermann vor Weiß. Das klingt doch nach einem passablen Konzept …

Das war’s ja auch. Joop-Kampagnen gehörten damals zu den freiesten Produktionen überhaupt. Ich war sehr verwöhnt und unerfahren. Man wird mit den Jahren zum Glück diplomatischer. Außerdem suche ich mir meine Jobs genau aus. Bei Shootings für die „Vogue“ oder den „Esquire“ darf ich relativ frei agieren. In der Werbung dagegen heißt es auch mal, das Model möge den Arm noch etwas anheben, damit man dieses oder jenes Accessoire besser sehe. Ein eigener fotografischer Stil ist heutzutage eher unpopulär. Man soll vor allem flexibel sein. Früher war das anders: Als ich mich Ende der neunziger Jahre bei der „Face“ vorstellte, musste ich den Redakteuren erst einmal meine fotografische Vision erläutern.

 

Haben Sie denen dann einen Vortrag über alte Schwarz-Weiß-Filme gehalten?

Nein, natürlich nicht. Ich bin zwar beeindruckt von der Hochkultur des Lichts im Film der dreißiger bis fünfziger Jahren, etwa in „Der Dritte Mann“ oder „Blonde Venus“. Mir geht es darum, Gefühl zu übertragen und eine gewisse Dramatik zu erzeugen, und das geschieht mit Hilfe des Lichts. Aber viel wichtiger als alle technischen Aspekte ist die Art und Weise, wie ein Modefotograf die Frau sieht. Bei Ellen von Unwerth zum Beispiel wirkt sie lebenslustig, verführerisch, überdreht. Peter Lindbergh zeigt eher die emotionale und melancholische Seite. Jürgen Teller feiert das Atypische. Steven Meisel arbeitet Androgynität heraus. Die Frau, die ich suche, ist gefühlvoll, nachdenklich, sie trägt vielleicht einen Konflikt mit sich aus. Ich glaube, es steckt viel von Romy Schneider in ihr.

 

Den Fotos nach zu urteilen muss eine Frau, damit sie Ihnen gefällt, vor allem weibliche Formen haben…

Nicht unbedingt. Im Moment arbeite ich oft mit Emma Watson. Sie hat eine knabenhafte Figur. Models müssen für mich vor allem gesund aussehen. Bei den letzten Prêt-à-Porter-Schauen habe ich einige sehr große Models mit erschreckend dünnen Beinen gesehen. Die Mädchen sind oft hilflos. Sie können den eigenen Erfolg nicht beeinflussen. Deshalb hungern sie. Das tut mir leid. Ich fotografiere lieber Frauen mit normalen Proportionen, wie Cindy Crawford, Monica Bellucci oder Laetitia Casta.

 

Hat sich die Rolle des Fotografen in den letzten Jahren verändert?

Sehr sogar. Durch das digitale Arbeiten verliert der Fotograf mehr und mehr die künstlerische Leitung. Im Extremfall packt der Kunde nach dem Shooting die ganze Hardware ein und wählt die Motive der Kampagne allein aus.

 

Der Fotograf als künstlerischer Leiter? Ist Modefotografie überhaupt Kunst?

Ich habe immer das Gefühl, dass in der Kunstszene alle Bilder grotesk sein müssen. Sie sollen die Sehgewohnheiten der Mittelklasse erschüttern, so wie ein Jürgen-Teller-Foto. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich mag ihn als Menschen und auch seine Bilder. Er hat die Modefotografie sehr stark beeinflusst. Aber ich selbst würde niemals zum Beispiel eines meiner eigenen Geschlechtsmerkmale ablichten. Kann man so heutzutage noch provozieren? Möchte ich provozieren? Nein. Ich mag ein eher klassisches Bild und versuche, Emotionen auszudrücken. Ist das Kunst? Ich weiß es nicht.

 

Denken Sie dabei an die eigenen Emotionen oder die des Models?

Beide. Ich finde heraus, was die andere Person von sich preisgeben möchte. Die Entscheidung, wann ich auf den Auslöser drücke, treffe ich dann unbewusst. Erst im Nachhinein begreife ich, wonach ich gesucht habe. Das Fotografieren hat viel mit Selbstfindung zu tun. Man erspart sich den Gang zum Psychoanalytiker – wie praktisch, finden Sie nicht?

 

Hatten Sie denn mal eine therapiewürdige Krise?

Ich bin mit der Fotografie verheiratet. Manchmal kracht es, und dann raufen wir uns wieder zusammen, wie in einer guten Ehe. Als es bei mir richtig losging, Ende der neunziger Jahre, wurde ich Teil einer Maschinerie. Ich flog dreimal pro Woche zu Miuccia Prada, hatte plötzlich eine schöne Freundin, ein dickes Auto. Auf einem Set in Los Angeles überkamen mich plötzlich Zweifel: „Wer bist du? Was machst du hier eigentlich?“ Jeder Fotograf hat mal den Gedanken, in einer Seifenblase aus Narzissmus und Sinnlosigkeit zu leben. Er vergeht bei mir zum Glück immer wieder. Ich habe gelernt, mir selbst treu zu bleiben. Dass mir ein Foto gefällt, ist mir heutzutage wichtiger als die Frage, ob es für Chanel ist. Mir hilft es außerdem, wenn ich mit meinem Erfolg anderen helfen kann. Im Herbst habe ich einen Bildband herausgebracht; und der Erlös aus dem Verkauf geht an das „Haus der kurzen Wege“, einer Einrichtung der „Charité“, in der missbrauchten Kindern geholfen wird.

 

Spricht da der alte Bremer Waldorfschüler aus Ihnen?

Die richtigen Werte zu haben ist schon wichtig, wenn man in dieser Branche unterwegs ist.

 

Wen würden Sie gerne mal porträtieren?

Da fallen mir einige ein, zum Beispiel Mick Jagger, Natalie Portman, Jennifer Lawrence.

 

Warum diese Personen?

Ich könnte hier noch mehr Namen nennen. Das sind lauter Menschen, die ich gerne treffen und mit denen ich mich gerne unterhalten würde. Manchmal verändert eine einzige Begegnung den Blick auf dein ganzes Leben. Nach solchen Momenten suche ich. Auch deshalb liebe ich meinen Job.

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Kontakt

Kerstin Susanne König
Berlin
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