Die Frau von morgen

Veröffentlicht am 10. September 2011



Frankfurter Allgemeine Zeitung (Magazin „Z“)

Backstage, hinter den Kulissen der Modenschau von Michael Michalsky auf der Berliner Modewoche, sitzt Andrej Pejic in Netzstrümpfen unter abgeschnittenen Jeans. Die Lippen werden rot angemalt, ein Pony wird angeklebt, dann schaut Andrej lasziv in die Kameras. Nach der Modenschau zieht das Model mit Freundinnen über die Party und dann weiter ins Berghain. Alles ist ganz normal an diesem Mädchen, wäre da nicht dieses eine Detail im Reisepass: Andrej Pejic ist ein Junge.

Erst kürzlich wurde er vom britischen Magazin FHM unter die „100 sexiest women alive“ gewählt. Andererseits ist Andrej einer der gefragtesten Männer: Auf models.com belegt er bei den „male models“ Platz 15. Andererseits wiederum steht seine Sedcard in seiner Pariser Agentur „New Madison“ bei den „female new faces“. Im Januar schickte Jean Paul Gaultier ihn zur Couture im Brautkleid über den Laufsteg. Selbst in der Modewelt, die Ungewöhnliches gewöhnlich findet, galt dieser Auftritt als Sensation. Über Nacht wurde der Neunzehnjährige zum Liebling. Nur wenige Tage zuvor war er in der Herrenmodenschau von Gaultier als süße Versuchung „James Blond“ zu sehen. Er trug eine Pistole, die er an der Hand baumeln ließ wie eine Handtasche. – Der Gaultier-Mann tut nicht mal mehr so, als wäre er ein harter Kerl.

In den Neunzigern, als Calvin Klein den Unisex-Duft „CK One“ auf den Markt brachte, gab es schon einmal ein Männermodel, das einer Frau zum Verwechseln ähnlich sah: Lee Williams. Berühmt wurde er nicht, die Mode war noch nicht bereit. Im neuen Jahrtausend spielte Hedi Slimane für Dior mit Männerrollen: Die Models wurden schmaler, zarter, weiblicher. Milchgesicht statt Sixpack. Und in ihren aktuellen Kollektionen bringen Rick Owens oder Givenchy für Männer Tuniken, Kilts, Miniröcke. Das starke Geschlecht wird schwächer.

Andrej Pejic ist das passende Model für Männer, die modisch so experimentierfreudig wie Frauen werden sollen. Ein Junge als Mädchen, ein Adonis in Netzstrumpfhosen: Das erregt Aufsehen, weil man in Androgynen und Transsexuellen gerne Transvestiten sieht. Aber Andrej trägt keine schrillen Kostüme, er will nicht auffallen, er ist nur er selbst, ein ausgesprochen höflicher Mädchen-Junge. Nach der Michalsky-Schau sagt er, er sei „ein guter Deal“ für die Designer. Er habe das Prinzip „zwei zum Preis von einem“ in die Modelbranche eingeführt. Günstig zu haben ist er aber nicht. Mit dem Erfolg steigt sein Preis. Bald will er sich in London eine Wohnung kaufen, später vielleicht ein Haus in Osteuropa.

Als Kind erlebte er Männer als Gefahr. Soldaten vernichteten das Land, in das er 1991 hineingeboren worden war. Als der jugoslawische Bürgerkrieg ausbrach, flohen seine Eltern, eine Serbin und ein Kroate, mit ihren beiden Söhnen aus seiner Heimatstadt Tuzla in Bosnien und Herzegowina nach Serbien. Vor zehn Jahren wanderte die Mutter mit den Kindern nach Melbourne aus, der Vater blieb zurück, er arbeitet heute in der Tourismusindustrie. Von ihm habe er nichts gelernt, sagt Andrej. Seine Großmutter und Mutter aber hätten ihn geprägt. Die Mutter, sie war Anwältin, hat in Australien noch einmal studiert und arbeitet inzwischen als Lehrerin, ist stolz auf ihren Sohn. Als er ein Kind war, durfte er mit Puppen spielen und Mädchenkleider tragen. „Es ist unsinnig, Menschen nach ihrem Aussehen oder Geschlecht zu kategorisieren“, meint Andrej. „Wenn über Leute wie mich nicht mehr so viel gesprochen würde, wäre schon eine Menge erreicht.“ Viele wollen von ihm wissen, ob er Mädchen oder Jungen liebt. Dann weiß er nicht, was er sagen soll. „Ich war bislang noch nicht verliebt. Wenn es doch mal passieren sollte, gebe ich Bescheid.“

Das Spiel mit Rollen scheint sein ganzes Leben zu durchziehen. So gestaltet er Interviews, um sich nicht zu langweilen, möglichst phantasievoll. Über seine Entdeckung erzählt er jedem eine andere Geschichte. Für diese Zeitung lautet sie so: „Ich spielte in einem Kleid auf einer Wiese. Ich träumte und erwachte als Model in New York.“ Manchmal übernimmt er auch die Story von Natalia Vodianova: Er sei beim Obstverkaufen von einem Modelscout angesprochen worden. Dann wieder war es beim Kuchenessen in einer Patisserie. Die Wahrheit ist prosaischer: Als Schüler schickte er seine Fotos an die Agentur „Chadwick Models“ in Sydney. Sein australischer Booker Joseph Tenni bestellte ihn zu sich und erklärte ihm: „Entweder werden wir richtig erfolgreich, oder es klappt gar nicht.“

Tenni vermittelte ihn nach ersten Jobs in Australien im vergangenen Jahr nach London zu Sarah Doukas von „Storm Models“, die einst Kate Moss entdeckte, also schon einmal den Model-Look revolutionierte. Schnell war er in den wichtigen Magazinen: „Vogue Paris“, „Arena Homme“, „i-D“, „Love“. Für die italienische „Vogue“ fotografierte ihn Steven Meisel, noch so ein Modelmacher. In der Fotostrecke liegt Andrej mit anderen Models in Pelz und Leder auf dem Boden. Ihre Beine und Arme sind ineinander verschlungen. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern zerfließen spielerisch. Bei Michalskys Show läuft Blur: „Girls who are boys, who like boys to be girls“. Da erscheint der „Gender Trouble“ der Neunziger, die mühsame Lektüre aller Soziologie-Studenten, von gestern. Nicht Bücher, sondern Menschen verändern die Ordnung der Dinge.

Nach Erscheinen der Steven-Meisel-Strecke buchte Gaultier den schönen Jungen für seine Frühjahrskampagne 2011. Jürgen Teller fotografierte ihn für „Marc by Marc Jacobs“. Inzwischen arbeitet er auch für kommerzielle Kunden wie „Mango“. Je erfolgreicher er ist, desto mehr rückt die Frage nach seinem Geschlecht in den Hintergrund. Nach der kurzen Phase freudiger Erregung sieht die Mode in ihm schon die Normalität. Nur Anna Wintour zögert noch, ihn zu buchen. Immerhin traf er sie vor einiger Zeit in New York: „Es kam mir vor, als wäre ich ein Schulkind und sie meine Lehrerin.“

Andrej ist nicht nur ein kroatischer Serbe und ein femininer Junge, sondern auch ein kapitalismuskritisches Model – er vereint eben gerne Widersprüche. Wenn er mal Ruhe hat bei seinen Reisen zwischen Rio und New York und Paris, liest er Bücher. In diesem Sommer schleppt er dicke Bände Marx und Tolstoi um den Globus. Am liebsten würde er allen sagen, „dass die ultimative Lösung eine Revolution ist“. Dabei hat er die Revolution doch längst angezettelt.

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Kerstin Susanne König
Berlin
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